Bildwissenschaftliche Fragestellungen

Mit Blick auf die Kernaufgabe Bildwissenschaft befasst sich jedes Modul mit einem von fünf bildwissenschaftlichen Themen. Die Themen sind so gewählt, dass sie sich in besonders prägnanter Weise mit dem in der jeweiligen Projektphase zu publizierenden Material bearbeiten lassen.

Bildbedeutung im räumlichen Kontext: Interkulturelle Netzwerke und Münzen als Bilderfahrzeuge (Modul 1)

Konventionelle ikonographische Studien gehen von einer eindeutigen Bedeutung von Bildern aus. Insbesondere bei öffentlichen ‚Propaganda'-Medien, zu denen man gerade auch Münzen zählen würde, läge der Fokus auf deren Botschaft. Münzen wurden als unidirektionale Medien verstanden, die die Kommunikationsabsichten des Auftraggebers übermitteln würden. Dass zumindest einige Bilder intentional polyvalent angelegt sein konnten, blieb ebenso unberücksichtigt wie das Phänomen, dass Bilder in verschiedenen Kontexten eine unterschiedliche Bedeutung annehmen konnten. Erst in jüngerer Zeit gilt das Forschungsinteresse der Polyvalenz von Bildern. Hier setzt ImagNum an, indem es die konventionelle Erforschung der Bildkontexte als ‚Rahmung‘ für die Erzeugung von Bildsinn begreift und verschiedene geographische Kontexte vergleichend untersucht.

Modul 1 befasst sich damit, wie Bildbedeutungen in Abhängigkeit von und in Bezug auf spezifische räumliche Kontexte entstehen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Zirkulation von Münzbildern – bedingt durch die Mobilität der Münzen, reisende Stempelschneider und Technologietransfer. Nach mehreren Kolonisierungswellen und insbesondere nach den Eroberungen Alexanders des Großen umfasste die griechische Welt ein enormes Gebiet. Hier stellt sich die Frage, wie das ‚mobile‘ Münzgeld nicht nur zur Verbreitung von Bildkonzepten Anlass gab, sondern inwiefern dieselben Bildformeln durch neue – auch soziokulturelle – Kontextualisierungen in ihrer Bedeutung modifiziert wurden und inwiefern dies in der Transformation von Bildformeln Ausdruck fand.

Modul 1 verfolgt die Frage nach der Mobilität von Münzobjekten und ihren Bildern anhand der Münzprägung im antiken Kleinasien (Troas und Mysien) und im Schwarzmeerraum. Beide Regionen zeichnen sich durch griechische Kolonien aus, die im Austausch mit der nicht-griechisch-indigenen Bevölkerung standen, und können als Fallbeispiele für eine frühe Glokalisierung gelten: Ihre Kulturformen – und damit auch ihre Münzprägungen – waren durch überregionale Konzepte inspiriert, jedoch von lokalen Interessen geformt.

Bilder und Akteure: Münzen als Mediatoren zwischen Münzherren und Rezipienten (Modul 2)

Es ist in der Forschung seit längerem Konsens, dass Münzbilder an der Visualisierung und Formierung von Identitäten teilhaben. So legt die Untersuchung griechischer Prägungen im Zusammenhang mit den Koloniegründungen nahe, dass ihre Embleme eine wichtige Rolle bei der Vergewisserung alter und der Konstruktion neuer Identitäten und sozialer Ordnungen in einer hybriden Kulturlandschaft gespielt haben. Das Potenzial von Münzbildern als Medium zur Formulierung und Verbreitung von Ide(ologi)en, Memoria und Identitäten wurde von den Griechen früh erkannt und effektiv genutzt, auch wenn die Bildkonzepte vermeintlich ‚einfacher‘ waren als die der Römer. Viele dieser Arbeiten verwenden jedoch Methoden, die entweder stark deskriptiv, aber theoretisch unzureichend reflektiert sind, oder theoretisch scharfsinnig, aber wenig fundiert hinsichtlich der numismatischen Quellenbasis. ImagNum setzt hier an und nimmt die – zum Teil konkurrierenden bzw. divergierenden – Kommunikationsabsichten verschiedener Akteure in den Blick.

Münzen werden von bestimmten Akteuren (Magistrate als Repräsentanten einer Stadt, Herrscher einer Region oder eines Staates) in Auftrag gegeben, von Handwerkern mit spezialisiertem Know-How umgesetzt und von Menschen eines jeweils unterschiedlich großen Gebiets benutzt und betrachtet. Während Auftraggeber und Münzmeister über das Erscheinungsbild greifbar werden, lassen sich die Rezipient*innen üblicherweise nur indirekt über die Fundkontexte (Gräber, Hortfunde) und mutmasslichen Umlaufgebiete (lokal, regional, international) fassen. Statt pauschal von einer medialen Identitätskonstruktion zu sprechen, gilt es in dem Projekt zu adressieren, welche Akteure über Münzen welche Inhalte verhandeln wollten – und inwiefern man voraussetzen kann, dass diese visuellen Konstruktionen wirkmächtig wurden. Dazu gilt es, Rezeptionsphänomene mit ins Auge zu fassen: Münzen, die umgearbeitet wurden, Münzmotive, die in anderen Medien rezipiert wurden, Narrative, die sich ggf. auch in Schriftquellen fassen lassen – oder eben auch Münzexperimente, die kein ‚Echo‘ gefunden haben.

Modul 2 konzentriert sich auf die Rolle der Münzbilder als Agenten von sozialen und politischen Beziehungsgeflechten. Der Fokus liegt auf einem Vergleich verschiedener zeitlicher und räumlicher Konstellationen.

Materialität, Medialität und Serialität der Münzen im Kontext: Bildschemata und interkulturelle Verhandlung (Modul 3).

Ein großer bildwissenschaftlicher Forschungszweig befasst sich mit der Materialität und Medialität, seltener auch der Serialität von Bildern. Das Interesse gilt dem Umstand, dass der Bildträger das Erscheinungsbild und die Rezeption des Bildes in erheblicher Weise konditioniert. Serielle Bilder – ‚multiples‘ – sind mit Blick auf potentielle Strategien der Herstellung von Authentizität (als Abdruck) thematisiert worden. Wenn im Fall von Münzen ihre Materialität zur Sprache kommt, so meist, um Münznominale im Hinblick auf ökonomische Fragen zu adressieren. Bei der Identifikation von Serien stehen zumeist technische (weniger stilistische) Aspekte im Vordergrund. ImagNum baut auf diesen Forschungen auf, um die Frage nach den Konsequenzen der Materialität (Metall), der Medialität (kleine, runde zweiseitig gestaltete Form) und Serialität für die Ästhetik und Semantik der Bilder zu stellen.

ImagNum fragt nach den Konsequenzen der Materialität (Metallzusammensetzung), der Medialität (kleine, runde Form, zweiseitiges Relief) und Serialität für Ästhetik und Semantik der Bilder. Besonders prägnant lässt sich der mediale, materiale und serielle Effekt im Falle eines Bildtransfers greifen: Wenn Bilder aus anderen Gattungen, Architekturen oder lebensweltliche Objekte auf Münzen abgebildet und im Zuge der Darstellung transformiert werden, um für das neue Medium passend zu sein. ImagNum geht es um solche Phänomene der Transmedialität und Transmaterialität, um den Eigensinn des Bildmediums Münze zu spezifizieren. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass verschiedene kulturelle Kontexte jeweils eigene Strategien der Medialisierung entwickelten. Zudem wird die Rolle der Münzen in der Naturalisierung ikonographischer Identitätsnarrative durch ihre Materialität als zirkulierende Objekte erforscht.

Mit Nordafrika, Sizilien, Sardinien und Italien werden jene Gebiete ikonographisch erschlossen, in denen ein vielseitiger kultureller Austausch in Folge der phönizischen und griechischen Kolonisation sowie der römischen Expansion stattfand. Es wird als Testfeld für die Erforschung der Aspekte von Anpassung und Abgrenzung dienen, die durch visuelle und textliche Botschaften von Münzen vermittelt werden.

Bild und Schrift: Ikonotexte (Modul 4)

Ein großes Forschungsfeld stellen Ikonotexte dar, d.h. die Analyse von Text-Bild-Beziehungen auf ein und demselben Bildträger. Münzen sind ein paradigmatischer Fall solch dualer Mediensituationen, doch wurden bislang Legenden und Bilder entweder getrennt voneinander untersucht – die bestehenden Lexika der griechischen und nicht-griechischen Münzinschriften liegen nur in analoger Form vor und lassen die Münztypen weitgehend unberücksichtigt – oder aber Legenden wurden eindimensional als ‚Erläuterung‘ der Bilder gelesen. In ImagNum sollen deshalb diese Corpora von Münzinschriften digitalisiert und mit persistenten Identifikatoren versehen in den ThING eingebunden werden. Dadurch wird es möglich, den Fokus gezielt auf die Interaktion von Text und Bild, auf Kongruenzen und auf sich ergänzende Strategien der Sinnerzeugung zu lenken.

ImagNum untersucht Münzen als paradigmatischen Fall der Interaktion von Text und Bild – aus einer doppelten Perspektive: den Text als Paratext des Bildes, das Bild als Paratext der Schrift. Für beide Elemente geht es um das visuelle Arrangement, das Bedeutung zuvorderst mitkonstituiert, weiterhin um die Modi der Sinnerzeugung. Konkret geht es darum, wie sich Text- und Bildbedeutung in ihrem Wechselspiel jeweils ergänzen, aufeinander verweisen, ggf. auch konkurrieren oder sich widersprechen. Methodisch sind daher auch jene Münzen von Interesse, die auf eine Beischrift oder ein Bild ganz verzichten.

Bildbedeutung im zeitlichen Kontext: Münzen als Bilderfahrzeuge zwischen Antike und Gegenwart (Modul 5)

Indem Münzen als soziales Phänomen beschrieben werden, rückt ihre Zeitlichkeit in den Blick: Münzen sind Objekte mit einer Geschichte. Damit öffnet sich aber auch ein Blick auf ihre Transhistorizität: Dass Bilder große Zeiträume – und damit auch unterschiedliche ‚Welten‘ – überbrücken, hat in prägnanter Weise Aby Warburg untersucht und dafür den metaphorischen Begriff der Bilderfahrzeuge eingeführt. Münzen waren dabei kaum in seinem Fokus, auch wenn sie sich aufgrund ihrer mehrere Jahrhunderte überspannenden Wirkmächtigkeit und ihrer hohen Mobilität in besonderer Weise dafür eigneten. Imitationen und Fälschungen zeugen in prägnanter Weise von der Aneignung von Bildvorlagen in nachfolgenden Jahrhunderten – mithin von den spezifischen Interessen, die sich an antike Bilderwelten allgemein und antike Münzen konkret knüpften. Indem das Projekt die Rezeption von Münzen in der Nachantike thematisiert, leistet es einen wesentlichen Beitrag zum Verhältnis von antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Bilderwelten.

Bilder fungieren als ‚Fahrzeuge‘, die nicht nur Räume, sondern auch Zeiten überbrücken. Zwar ist die Mehrzahl antiker Münzen unter die Erde gekommen, doch wurden über das Mittelalter hinweg einzelne Stücke gezielt aufbewahrt und weitergegeben, andere Objekte im Rahmen von Zufallsfunden aufgenommen, bis schließlich mit der Renaissance die ersten ‚Grabungen‘ einsetzten, die antike Objekte zutage förderten. Bereits die Fund- und Sammlungsgeschichte spiegelt somit das Interesse am Medium der Münze. Es ist jedoch die aktive Rezeption ihrer Bilder in nachantiken Münzeditionen, die es erlauben, antike Münzen als Bilderfahrzeuge zu begreifen. Zudem sind Münzfälschungen bestens geeignet, die zeitliche Dimension des Umganges der verschiedenen Akteure mit (Bild-)Vorlagen zu verdeutlichen. Das Verhältnis von antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bilderwelten lässt sich im Spannungsfeld von Konnektivität und Diskonnektivität, von Bedeutungskontinuität und Bedeutungsverschiebung beschreiben.

Antike Bilder waren und sind Orte, an denen sich die Blicke verschiedener Kulturen, sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart, treffen, unterschiedliche Bedeutungen abrufen und eigene Interpretationen hervorbringen. Das Konzept, wonach Bedeutungen fließend und in den kulturellen und intellektuellen Rahmen der Gegenwart eingebettet sind, trifft auf griechische Münzbilder zu: Ihre Interpretation ist untrennbar mit der Geschichte ihrer Rezeption verbunden. Das Modul befasst sich exemplarisch sowohl mit der antiken als auch der nachantiken Rezeption der griechischen Münzprägung.